FOCUS-MONEY-Redakteur Thomas Wolf
schreibt hierzu in einem älteren, gleichwohl thematisch brandaktuellen Artikel unter http://www.focus.de/finanzen/news/tid-29319/political-correctness-klappe-zu_aid_911015.html auszugsweise Folgendes:
„Sprechverbote und Tabus bestimmen den öffentlichen Diskurs: „Wer in Deutschland nicht sozialdemokratisch ist, landet entweder im Irrenhaus oder im Ausland“, glaubt der Philosoph Peter Sloterdijk. Eine Analyse der Dos and Donts dieser Republik.
Es gibt in Deutschland Tabus. Wer gegen den Euro ist und dies öffentlich kundtut, hat in aller Regel einen schweren Stand. Gutmenschen jeglicher Couleur denunzieren Menschen mit eurokritischen Meinungen in Talkshows als europafeindlich und als Revanchisten.
Auch wer den menschengemachten Klimawandel in Frage stellt, findet kaum Fürsprecher. „Solche Menschen haben kein Verantwortungsgefühl für die Zukunft unserer Kinder“, heißt das Totschlagargument. …
Schweigen statt Zensur
Obwohl unsere Verfassung jedem Bürger garantiert, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern zu dürfen, beherrschen Sprech- und Denkverbote die bundesdeutschen Debatten. Das funktioniert ohne sichtbaren staatlichen Zwang, schließlich heißt es im Artikel 5, Absatz III des Grundgesetzes ja auch ausdrücklich: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Doch warum lassen sich die Menschen eigentlich all diese gedankliche Bevormundung gefallen? Und welche Antworten auf die brennenden Probleme werden durch solche Gängelei des Sprechens – und damit des Denkens – unterdrückt?
Die „Schweigespirale“
Eine anschauliche Erklärung für das Funktionieren eines Systems aus Tabus und Redeverboten lieferte bereits in den 70er-Jahren die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann in ihrer Theorie der Schweigespirale. Danach treibt den Menschen die Angst vor der sozialen Isolation um – keiner will in einer Gruppe oder der Gesellschaft außen stehen. Das hat seine guten Gründe: Schließlich sind wir als soziale Wesen auf die Gemeinschaft angewiesen, und wir leben auch gern in ihr. Um nur ja nicht ausgegrenzt zu werden, beobachtet der Einzelne ständig seine Umgebung auf der Suche nach der gerade vorherrschenden Meinung – und passt sich ihr dann an. …
Was als die gerade vorherrschende Meinung wahrgenommen wird, bestimmen die jeweilige Umgebung – etwa Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen – und die Medien. Und ob eine abweichende Meinung richtig oder falsch ist, ist gar nicht entscheidend – weit wichtiger ist, ob sie als moralisch gut oder schlecht dasteht.
These
Sprache bestimmt das Denken, daher müssen diffamierende und diskriminierende Ausdrücke vermieden werden. Korrekte Begriffe verhindern, dass die Gegner von Fortschritt und Toleranz Gehör finden.
Antithese
Sprachverbote und Zensur vergiften die geistige Atmosphäre und lähmen die lösungsorientierte Debatte. Statt zu Offenheit und Toleranz führt Politische Korrektheit zu Feigheit und Anpassertum.
Keiner wagt, Alternativen zu denken
Aber wo sind die Alternativen zur herrschenden Meinung und die neuen Denkansätze? Fehlanzeige! Wenn abweichende Meinungen nicht mehr geäußert werden, weil ihre Vertreter sofort als unmoralisch gegeißelt werden, versiegt bald jede Diskussion.
Unter dem Einfluss von Political Correctness und Tabus entstand in der Bundesrepublik ein alternativloses politisches und intellektuelles Klima, das der Philosoph Peter Sloterdijk folgendermaßen beschreibt: „Ob einer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder nicht, spielt schon längst keine Rolle mehr, weil es Nicht-Sozialdemokraten bei uns gar nicht geben kann, die Gesellschaft ist per se strukturell sozialdemokratisch, und wer es nicht ist, der ist entweder im Irrenhaus oder im Ausland. Es gibt keine ernsthafte Alternative dazu.“ Und tatsächlich redet heute alle Welt von Gerechtigkeit, wo doch nur Gleichheit gemeint ist; wird dem Kollektiv alles und dem Einzelnen immer weniger zugetraut und die Lösung der Probleme fast nur noch vom Staat erwartet.
Lösung statt Blockade
Welche Lösungsansätze mit diesem Diktat des Korrekten und der Angst vor Ausgrenzung torpediert werden, zeigt ein Blick auf obige Beispiele. Bereits 1954 entdeckte der „Spiegel“ die Klimaerwärmung. „Nach einer Island-Reise berichtete Dr. Rodewald, dass durch die klimatischen Änderungen Flächen frei geworden sind, die 600 Jahre lang unter Gletscher-Eis begraben lagen …“, heißt es im sozialkritischen Nachrichtenmagazin. Die Ursache war schnell gefunden: Atombombenversuche! In den nächsten 20 Jahren blieb allerdings die globale Durchschnittstemperatur konstant. Der „Spiegel“ musste umdenken und suchte ein neues Schreckensszenario.
1974 fragte er: „Kommt eine neue Eiszeit?“ Diesmal hatten Forscher Änderungen im Magnetfeld der Erde als Ursache ausgemacht. Die Folge sollte eine rapide Abkühlung der Erdatmosphäre sein. Erneut erwies sich die Prognose als Fehlalarm: Bis 1998 stieg die globale Durchschnittstemperatur sogar an und zwar von 14,0 auf 14,6 Grad.
Neuer Versuch: Weltklimagipfel 2000. Der „Spiegel“ berichtet: „Die Zeit drängt: Darin waren sich die Eröffnungsredner in Den Haag einig. Die Streitfrage sei längst nicht mehr ob, sondern wie stark und wo sich das Klima verändere.“ Nach den Atomversuchen und den Änderungen im Magnetfeld der Erde hatten Forscher und Journalisten jetzt die Treibhausgase als Klimaveränderer entdeckt. Doch die Erwärmung verlief abermals nicht wie erwartet: Lag die globale Durchschnittstemperatur 1998 noch bei 14,6 Grad, waren es im vergangenen Jahr nur 14,5 Grad.
Als vor Kurzem Wissenschaftler des britischen Met Office, einer Institution, die eng mit dem Weltklimarat IPCC kooperiert, eine Pause beim globalen Temperaturanstieg bis mindestens zum Jahr 2017 ausriefen, reagierte die Expertenzunft mit hektischen Erklärungsversuchen. Die Wärme soll wahlweise in die Ozeane oder die Stratosphäre verschwunden sein. Auch schwefelhaltige Abgase in den Schwellenländern Asiens werden als Bremser der Erwärmung ausgemacht. Eines allerdings muss unter allen Umständen gehalten werden: die These vom menschengemachten CO2-Ausstoß als Ursache des Klimawandels. Wer nach den Erfahrungen mit früheren „Gewissheiten“ Zweifel anmeldet, gilt als Skeptiker – und denen müsse man laut Petra Döll, Leitautorin des Weltklimarats, nicht einmal mehr zuhören.
Doch das Festhalten an politisch-korrekten Tabus blockiert eine ergebnisoffene Diskussion. Und die brächte vielleicht neue Erkenntnisse und am Ende Lösungen. Welche Rolle spielt beispielsweise die Sonne? Wirken sich andere Treibhausgase wie Methan vielleicht weit stärker in der Atmosphäre aus als bisher bekannt? Und haben wir vielleicht doch mehr Zeit als angenommen, um nichts übers Knie zu brechen und eine Energiewende zu organisieren, die Hand und Fuß hat?
Neue Argumente
Beim Thema soziale Probleme gibt es sogar ein Beispiel aus der praktischen Politik, das zeigt, dass der Bruch von hergebrachten Tabus neue Ansätze liefern kann, die funktionieren. Dass die Ursachen für soziale Probleme oft bei den Betroffenen selbst liegen, ist zwar offensichtlich. Es beim Namen zu nennen gehörte dennoch zu den größten Tabus der sozialdemokratisierten Tradition. Politik und Sozialverbände hatten sich zwar auf die Formel „Fördern und Fordern“ verständigt, in der Praxis fand lange Zeit aber nur der erste Teil Beachtung. Erst Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm mit der Agenda 2010 auch den zweiten Teil ernst und die Leistungsempfänger in die Pflicht. Zwar musste Schröder bei der nächsten Bundestagswahl den Hut nehmen, als richtig fürs Land erwies sich seine Entscheidung dennoch: Die Arbeitslosenrate sank deutlich, und Deutschland profitiert bis heute vom Tabubruch des Kanzlers.
Keiner verlässt das – sinkende – Schiff, alle Mitgliedsländer bleiben im Boot, lautet eines der Dogmen beim Euro. Aber könnte nicht auch hier ein anderer Ansatz weiterführen? Rettungspolitik nach dem Motto „Augen zu und zahlen“ erscheint jedenfalls keine dauerhafte Lösung, immer wieder tun sich Milliardenlöcher auf wie aktuell in Zypern. Was also, wenn beispielsweise Griechenland die Euro-Zone verlassen würde? Hätte das Land dann vielleicht bessere Chancen, sich zu erholen?
EU und IWF müssten keine weiteren Hilfsgelder in ein Fass ohne Boden investieren, sondern könnten den Griechen mit einer neuen Währung und gezielter Förderung helfen, wieder wettbewerbsfähig zu werden. In einer Sonderwirtschaftszone könnte Hellas – unterstützt von der EU – mit niedrigen Steuern ausländische Investoren anlocken und für kräftiges Wachstum sorgen. Auch könnte Griechenland die riesigen Öl- und Gasvorkommen in der Ägäis heben, die Geologen mit hoher Wahrscheinlichkeit dort vermuten. Bis zu 465 Milliarden Euro könnte das über die nächsten 25 Jahre bringen – mehr als genug, um selbst den griechischen Haushalt zu sanieren, Schulden zu begleichen und von Hilfen der Euro-Mitgliedsländer unabhängig zu werden. Ob das die letztendliche Lösung ist, weiß zwar keiner, doch bleibt die Frage: Warum hat in der öffentlichen Diskussion davon bisher kaum jemand etwas gehört?
Denkschablonen statt ergebnisoffener Debatten – das hat viel mit den Medien zu tun. Schließlich fallen die Vorstellungen davon, was gut und richtig ist, nicht einfach vom Himmel. Der Medientheoretiker Norbert Bolz spricht Klartext: Seit Jahrzehnten dominierten die Linksintellektuellen den Diskurs, sie hätten „das ausgeprägt, was wir Political Correctness nennen“. Daher gebe es nicht nur in der Welt der Kultur, sondern vor allem in den Massenmedien – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – einen „massiven, linksgeprägten Diskurs“.
In einer Welt, in der die Menschen durchschnittlich mehr als sieben Stunden pro Tag mit Medienkonsum verbringen, kann das nicht ohne Folgen bleiben. Zumal sich viele Medienmacher nicht mit der Rolle des bloßen Berichterstatters zufrieden geben wollen. „Massenmedien sind nicht nur ein Forum der politischen Auseinandersetzung oder ein Mittler zwischen den Fronten; die Medienorganisationen sind selbst Akteure, die auf der Basis ihrer zentralen Funktion in der politischen Kommunikation mit anderen Akteuren – Parteien, Verbänden, staatlichen Instanzen – um politischen Einfluss ringen“, heißt es beispielsweise auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.
Journalisten selbst sehen sich gern in einer Wächterrolle, die sie unabhängig, objektiv und nur der Wahrheit verpflichtet ausfüllen. Bei näherem Hinsehen bekommt das hehre Bild freilich Kratzer. So förderte eine repräsentative Befragung von Journalisten nach ihren politischen Vorlieben Eindeutiges zu Tage: Rund 35 Prozent der Medienmacher sympathisieren mit den Grünen, 25 Prozent favorisieren die SPD. Der Union sahen sich dagegen gerade mal 7,6 Prozent verbunden. Nun haben sicher auch Journalisten das Recht auf eine eigene Meinung. Aber es wäre naiv zu glauben, dass sich ihre Vorlieben und Abneigungen nicht in der täglichen Arbeit spiegeln und auswirken würden.
Laut dem Medienwissenschaftler Hans Martin Kepplinger billigen denn auch fast die Hälfte aller Journalisten das „bewusste Hochspielen von Informationen, die ihre eigene Sichtweise stützen“. Beispiel Fukushima: Nach der Katastrophe fehlte es nicht an Darstellungen der Gefährlichkeit von Reaktorunfällen, in Sondersendungen warnten mehr oder weniger seriöse Experten vor den Folgen radioaktiver Strahlung. Dass Erdbeben und Tsunamis, die in Japan erst das Atomdesaster ausgelöst hatten, hierzulande eher selten vorkommen, wurde dagegen nicht erwähnt. Kepplinger: „Dadurch erschien Fukushima nicht als Folge regionaler Besonderheiten, sondern als Beleg für das generelle Risiko der Kernenergie.“ Was nicht in ihr Weltbild passe, werde von Journalisten dagegen gern heruntergespielt. So sei etwa die Schadstoffbelastung von Bio-Eiern schnell aus den Medien verschwunden, und auch die Gefahr durch Solaranlagen bei Bränden werde kaum thematisiert.
Gut vs. gut gemeint
Wo die gute Absicht wichtiger ist als die ergebnisorientierte Lösung, treibt die Sprachregulierung seltsame, zuweilen auch bizarre Blüten. Da darf Pippi Langstrumpf ihren Vater nicht mehr „Negerkönig“ nennen, wie sie das jahrzehntelang getan hat, sondern muss vom „Südseekönig“ sprechen. Zu groß war für den Verlag offensichtlich die Angst vor Rassismusvorwürfen; da musste der Kinderbuch-Klassiker eilig an die Sprachentwicklung angepasst werden. Ähnlichen „Säuberungsaktionen“ fielen schon die „Zehn kleinen Negerlein“ von Agatha Christie zum Opfer, die hierzulande nur noch unter dem Titel „Und dann gabs keines mehr“ erscheinen dürfen. Auch der Comic „Tim und Struppi im Kongo“ geriet wegen angeblich kolonialistischer Tendenzen unter Rassismusverdacht, ebenso der „Struwwelpeter“, weil dort vom „Mohrenkind“ die Rede ist.
Zuweilen stößt die Sprachbereinigung sogar bei den Betroffenen selbst auf Unverständnis. Weil längst nicht alle „Zigeuner“ zu den Stämmen der Sinti und Roma gehören, legen beispielsweise in Rumänien viele Angehörige dieser Volksgruppe großen Wert darauf, Zigeuner zu sein.
Und die allgegenwärtige Korrektheit macht selbst vor der Heiligen Schrift nicht halt. Ein Kreis aus Theologen und Sprachwissenschaftlern präsentierte vor einiger Zeit nach mehrjähriger Arbeit die „Bibel in gerechter Sprache“. In dieser Neuübersetzung der Texte aus dem Hebräischen und Griechischen gelten korrekte Sprachregelungen offenbar mehr als Theologie. Da kommt die Frohe Botschaft abwechselnd von „Gott“ oder „Göttin“, mal ist von dem, mal von der Höchsten die Rede. Dass Jesus nicht mehr der „Sohn“, sondern das „Kind“ Gottes ist, gehört da noch zu den harmloseren Verhunzungen.
Am Anfang stand der Ausbruch aus Schablonen
„Neusprech und Gutdenk“ überschrieb die „Zeit“ vor einiger Weile eine Betrachtung über die Political Correctness und zitierte damit George Orwell. In dessen Utopie „1984“ entwickelt der Staat eine Kunstsprache, den Neusprech, „um die Vielfalt der Gedanken zu verringern“. Gutdenk ist richtiges Denken, das diejenigen bestimmen, bei denen die Deutungshoheit liegt. Eine Gesellschaft ohne Tabus lasse sich nicht denken, meint die Wochenzeitung aus Hamburg, auch der moderne, aufgeklärte Mensch sei nicht frei von Sprach- und Denktabus. Die seien im Übrigen nichts Neues, so sei beispielsweise im Wilhelminischen Kaiserreich die Majestätsbeleidigung nicht nur unkorrekt, sondern sogar strafbar gewesen. Doch selbst die des konservativen Gedankenguts unverdächtige „Zeit“ räumt ein: „Was nicht benannt werden kann, kann auch nicht behoben werden.“
Etwas beheben wollten auch die Mütter und Väter der Political Correctness: Ursprünglich machten sie Front gegen Engstirnigkeit und festgefahrene Schablonen. In den Emanzipations- und Befreiungsbewegungen der 60er- und 70er-Jahre zog man gegen eine Spießbürgerwelt zu Felde, die man als zutiefst miefig empfand.
An den Universitäten demonstrierten die Studenten gegen den „Muff von 1000 Jahren“, den sie unter den Talaren der Magnifizenzen und Spektabilitäten ausgemacht hatten. Mit langen Haaren und bunten Outfits rebellierten Jugendliche gegen die strenge Kleiderordnung und die „brave“ Bürgerlichkeit der Adenauer-Ära. Beat und Rockmusik fegten wie ein frischer Wind durch die heile und öde Schlagerwelt. Frauen wollten sich nicht mehr ausschließlich auf „Küche, Kirche, Kinder“ reduzieren lassen und Männer sich nicht mehr nur über Leistung und Beruf definieren. Kurz: Es ging um die Befreiung von gesellschaftlichen Repressionen und Unterdrückung, Intoleranz und Tabus. Und das nicht nur in Deutschland, sondern möglichst überall auf der Welt.
Von den guten Absichten ist heute wenig geblieben. Die ehemaligen Vorkämpfer gegen bürgerliche Zwänge widersprechen sogar ihren eigenen Dogmen. Mit dem „herrschaftsfreien Dialog“ des Sozialphilosophen Jürgen Habermas, eines Säulenheiligen der Linken, lassen sich sprachliche Tabus und Denkverbote jedenfalls schwer vereinbaren. Schließlich darf in diesem Dialog – der lange als Allheilmittel gegen jedwedes gesellschaftliche Übel galt – kein äußerer Zwang das Gespräch behindern.
Anspruch und Realität
Gemessen am früheren Anspruch, wirkt das Meinungsklima in der heutigen Bundesrepublik fade, inhaltsleer und steril. Was nicht den genormten Mustern und Schablonen entspricht, darf auch nicht gesagt werden – selbst wenn sich die Debatten dadurch in einer Endlosschleife bewegen. Statt Lösungen suchen die Beteiligten nurmehr den Austausch korrekter, aber inhaltsleerer Floskeln. Das Publikum erreichen sie mit diesen öden Darbietungen längst nicht mehr.
Man stelle sich nur vor, in einer Talkshow zum Thema Kitas würde ein Grüner nicht nur über die Selbstverwirklichung der Eltern reden, sondern auch das Bedürfnis der Kinder, in einem behüteten Zuhause aufzuwachsen, thematisieren. Ein Genosse würde nicht nur die Steuerhinterziehung anprangern, sondern auch über die horrenden Sätze bei der Erbschaftsteuer sprechen, die Familienunternehmen beim Eigentümerwechsel zu schaffen machen. Oder – statt gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass starke Schultern mehr zu tragen hätten als schwache – über die Wachstumseffekte eines einheitlichen, niedrigen Steuersatzes reflektieren.
Stattdessen legen sich politisch korrekte Phrasen wie Mehltau übers Land. Medienwissenschaftler Norbert Bolz zieht ein ernüchterndes Fazit: „Der Jammer der deutschen Situation ist der, dass ausgerechnet die Linken zu den großen Tabumächten geworden sind. Also die, die früher Aufklärung betrieben haben, die früher gekämpft haben für freie Meinung – überhaupt für Freiheit: Das sind die großen Tabumächte unserer Zeit.“
Wo es einst um die Utopie von einer Welt ohne Repressionen ging, herrscht heute eine Atmosphäre der Unterstellung und Verdächtigung, der Anpasserei und des Duckmäusertums, gegen die der angebliche Mief der 50er-Jahre wie Frischluft anmutet. Peter Sloterdijk bilanziert: „Wir haben uns – unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, (. . .) der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale Feld von oben bis unten paralysiert.“ Kein Wunder, dass der Mann als politisch unkorrekt gilt.“
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